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Foto: Busakorn Pongparnit/Moment/Getty Images
Trends & Technologie | 18. Oktober 2017

Warum Expertensysteme nicht als Teilgebiet von Künstlicher Intelligenz wahrgenommen werden

Obwohl regelbasierte Expertensysteme keine technische Neuheit sind, sind Sie mir in letzter Zeit häufiger begegnet. Zum Beispiel im Podcast über automatisierte Betrugserkennung, den ich auf Empfehlung unserer Redaktion hörte, wurde die Frage gestellt  „Wie viel [der in der Betrugserkennung eingesetzten Systeme sind] denn regelbasiert und damit per Definition überhaupt kein Artificial Intelligence oder Machine Learning“. Auch im Gespräch mit Kollegen fiel der Satz „Entweder wir benutzen ein Expertensystem oder eine Künstliche Intelligenz (KI)“.

Buzzword-Bingo: Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz

Auf der einen Seite bringen mich obige Aussagen im ersten Moment dazu zu lächeln und zu nicken, denn zugegebener Maßen weiß ich nicht genau, was KI „per Definition“ eigentlich bedeutet. Auf der anderen Seite ist das vom inhaltlichen Gehalt so, als würde ich sagen „Entweder nehme ich den Bus oder ich fahre nach Hause.“ Denn so wie „nach Hause fahren“ beinhaltet, dass ich mein Fahrrad, ein Taxi, eine Fahrgemeinschaft oder sonstiges nutzen kann, umfasst die Lehre der KI auch Expertensysteme. Aber wie entstehen so explizite Aussagen wie „KI ist/ist nicht …“ , wenn wir uns einer Meinung sein können, dass KI ein schwammig definierter Begriff ist?

Meine Vermutung ist, dass die fälschlicher Weise synonyme Verwendung der Begriffe „KI“ und „Maschinelles Lernen“ (ML) der Grund dafür ist. Ich habe den Eindruck, dass viele Leute das Verständnis haben, dass KI bedeutet, dass ein Computer sich eigenständig Wissen aneignet. Zu einem gewissen Grad stimmt das auch. Denn ML ist eine Teildisziplin von KI – und eine Art des ML ist das sogenannte Unüberwachte Lernen (engl. unsupervised learning). Mittels unüberwachtem Lernen kann ein Computersystem beispielsweise völlig autonom eine Kundensegmentierung vornehmen. Aber was nicht vergessen werden darf, ist, dass es neben ML noch weitere Teildisziplinen in der KI gibt, wie beispielsweise regelbasierte Expertensysteme.

An dieser Stelle möchte ich aber weder erklären, was KI ist oder nicht ist, noch möchte ich den Artikel von Herrn Dr. Milkau zum Unterschied zwischen KI und ML wiederholen. Stattdessen möchte ich die von den Medien stiefmütterlich behandelte Teildisziplin der regelbasierten Expertensysteme vorstellen und erklären, was diese mit KI zu tun hat.

Auffrischungskurs: Regelbasierte Expertensysteme

Expertensysteme sind ein früher Versuch die Problemlösung von Menschen auf Maschinen zu übertragen. In seinem Lehrbuch über Expertensysteme definiert Frank Puppe diese als „[…] Programme, mit denen das Spezialwissen und die Schlussfolgerungsfähigkeit qualifizierter Fachleute auf eng begrenzten Aufgabengebieten nachgebildet werden soll.“ Eins der ersten Expertensysteme, MYCIN, wurde 1972 zur Diagnose und von Infektionskrankheiten entwickelt. Das Ziel eines Expertensystems ist also qualifizierte Fachleute, wie zum Beispiel Ärzte oder Automechaniker, bei Routineaufgaben zu unterstützen, sodass diese sich mit ihrem Expertenwissen komplexeren Aufgaben widmen können. Für die beschriebene Aufgabe muss das Expertensystem zum einen über das pure Fachwissen (Wissensbasis) verfügen und zum anderen wissen, wie es das Fachwissen gezielt einsetzen kann (Inferenzmotor).

„Expertensysteme sind Programme, mit denen das Spezialwissen und die Schlussfolgerungsfähigkeit qualifizierter Fachleute auf eng begrenzten Aufgabenebieten nachgebildet werden soll.“ – Frank Puppe, Einführung in Expertensysteme, 1991.

Regelbasierte Wissensbasis

Wissen kann in verschiedenen Formen vorliegen. Daher ist die Art, wie das Expertenwissen in dem Programm hinterlegt ist, ein Unterscheidungsmerkmal von Expertensystemen. Eine Art der Wissensrepräsentation ist die Repräsentation mittels Regeln. Dabei wird ein kleines unabhängiges Stück Wissen in Form von einer Wenn-Dann-Beziehung abgespeichert, wie zum Beispiel „WENN sonniges Wetter DANN kein Regenschirm benötigt“.

Inferenzmotor – Wissen alleine macht nicht intelligent

Als Digital Native nutze ich das Internet als meine erweiterte Wissensbasis. Alles, was ich nicht weiß, kann ich im Internet sofort erlernen: Hemd bügeln? Videoanleitung! Fachwissen ausbauen? Freie Online-Vorlesung! Husten? Selbstdiagnose!

Was ist aber der Unterschied zwischen mir und meinem Arzt? – Wenn ich mit Husten zu meinem Arzt gehe, habe ich eine Erkältung. Wenn ich mich im Internet selbst diagnostiziere, dann habe ich eine Herzkrankheit.

Was ich damit ausdrücken möchte, ist, dass nur, weil mir das medizinische Wissen per Mausklick zur Verfügung steht, ich noch lange nicht dazu befähigt bin, eine qualifizierte Schlussfolgerung zu formulieren. Darüber hinaus kann der Begriff der Intelligenz nicht mit dem Begriff der Menschlichkeit gleichgesetzt werden – auch wenn wir gerne Gegenteiliges hören würden.

Für diese Schlussfolgerung hat das Expertensystem eine Komponente, die im Fachjargon als Inferenzmotor bezeichnet wird. Einfach gesagt ist der Inferenzmotor die Problemlösungskomponente, die das Expertensystem zu einem besseren Arzt macht als ich es bin. Damit gehören Expertensysteme auch berechtigter Weise zum Bereich der KI.

Warum Expertensysteme stiefmütterlich behandelt werden

Obwohl die Implementierung von Wissen in Form von Regeln verhältnismäßig einfach is, ist die allumfassende Wissensrepräsentation auch nur eines abgegrenzten Aufgabengebietes aufwändig. Denken Sie nur an die ganzen Ausnahmefälle beim Lernen einer neuen Sprache: Zum Beispiel gilt im Englischen bei der Bildung der Simple Past-Vergangenheitsform die Regel „WENN Infinitiv + „ed“ DANN Simple Past-Vergangenheitsform“. Diese Regel funktioniert bei vielen Verben (z.B. „walk“, „talk“,  etc.). Sobald Sie aber Verben benutzen, die als Vergangenheitsform eine Ausnahmeregel haben (z.B. „run“, „eat“, etc.) oder die im Infinitiv auf „e“ Enden (z.B. „compare“, „smile“, etc.) müssen Sie neue Regeln definieren.

Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie haben zur Lösung einer Aufgabe eine regelbasierte Wissensbasis umgesetzt. Was glauben Sie, wie lange ihr Expertensystem richtige Ergebnisse produzieren wird? Mit der Geschwindigkeit, mit der wir heute neue Daten produzieren, wird es nicht besonders lange dauern, bis ein neuer Fall vorliegt, den Sie in Ihrer Wissensbasis noch nicht abgedeckt haben und ihr Ergebnis ist unbrauchbar. Dadurch, dass sich das regelbasierte Expertensystem im Gegensatz zum ML nicht selbst neue Regeln aneignet, entsteht ein hoher Wartungsaufwand.

Jetzt denken Sie sich natürlich, „Ja, dann lass‘ doch das Expertensystem sich mit ML selber Regeln beibrigen“. Mit dieser Idee sind Sie aber gut 20 Jahre zu spät. Was außerdem neben dem hohen Wartungsaufwand ein weiteres Problem darstellt, ist dass Wissen, das nicht theoretisches Fachwissen ist, schwierig zu repräsentieren ist. Wie würden Sie z.B. praktisches Wissen aus Erfahrungen oder Allgemeinwissen darstellen?

Fazit

Wir halten fest, dass KI viele Teilgebiete hat. In diesem Artikel haben wir uns kurz mit zweien davon befasst: zum einen mit ML, das seit den 80ern wieder an Bedeutung gewonnen hat, und zum anderen mit Expertensystemen, die eine der frühen Versuchen waren die Problemlösung von Menschen auf Maschinen zu übertragen. Dabei haben wir gesehen, dass ML und Expertensysteme deutliche Unterschiede aufweisen. Insbesondere kann beim ML die Maschine sich im Lösen der Problem verbessern, während Expertensysteme auf die ihnen mitgegebene Wissensbasis angewiesen sind und sich daher nicht selbst optimieren können. Mit dem Hype um ML, ist aber mittlerweile die Erwartung, dass bei KI eine Maschine auch lernfähig ist, so verbreitet, dass häufig fälschlicher Weise ML mit KI gleichgesetzt wird. Dementsprechend sind andere Teilgebiete der KI in Vergessenheit geraten und werden manchmal, wie im Fall von Expertensystemen, gar nicht mehr als KI wahrgenommen.

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